Donnerstag, 10. Juni 2004

Where have all the good times gone.. Aerodrome 04, 10.06.2004

Exklusiv für noize.cc:







(Rezension aus 2004)

Aerodrome 04 - Der erste Tag

Die Toten Hosen, Pixies und den Red Hot Chili Peppers

10.06.2004, Flugfeld Wiener Neustadt, ca. 60.000 Besucher


Im Jänner 1999 wurde bekanntgegeben, daß Wiener Neustadt als einer der Austragungsorte für Woodstock '99 , der auf die USA & Europa aufgeteilte Jubiläumsneuauflage des legendären klischeebehafteten Events aus dem Jahr 1969, auserkoren wurde. Hochkarätige Acts wie Metallica oder Iggy Pop hätten dort von 16. - 18. Juli 1999 den Spirit of '69 verbreiten sollen. Daraus wurde es allerdings nichts, da laut Woodstock '69, '94 &'99-Veranstalter Michael Lang unter anderem wesentliche Rahmenbedingungen für eine Veranstaltung dieser Größenordnung nicht gegeben waren. Dieses vernichtende Urteil hatte elementare Auswirkungen, denn zunächst scheiterte der Versuch, stattdessen ein eintägiges Festival namens "Sun Dance '99" zu veranstalten, dass über das Stadium von Flyern (s. Foto) nicht hinauskam, darüber hinaus lag danach das Flugfeld, das sich bei den Gigs von Pink Floyd (1994, rund 90.000 Besucher!), U2 (1997) oder den Rolling Stones (1998) als gediegener Veranstaltungsort zu etablieren schien, nahezu für 5 Jahre in Sachen Liveaktivitäten völlig brach.

Das änderte sich erst Ende November 2003, als für viele überraschend das Aerodrome-Festival mit den Headlinern Red Hot Chili Peppers und (im zweiten Anlauf) Metallica präsentiert wurde. Diese Nachricht wurde wegen der zu erwartenden Einnahmen von der Stadtgemeinde Wiener Neustadt, seinen Gewerbetreibenden und natürlich vielen Fans freudig aufgenommen, bei den Anrainern und so manchem Wiener Neustädtern, deren musikalischer Horizont jenseits von Kastelrut endet, herrschten hingegen gemischte Gefühle und wurden diffuse Ängste geweckt. In diese Kerbe schlugen einige lokale Printmedien, wobei die Berichterstattung der Gratispostillie "Bezirksblatt" über das Festival eine nähere Betrachtung verdient und nicht Ortsansässigen keinesfalls vorenthalten sollte:

"[...] An drei Tagen werden an die 150.000 Konzertgäste aus ganz Mitteleuropa erwartet. Besonders die Fans am Donnerstag (10.) und Freitag (11.) machen der Exekutive Sorgen. Denn an diesen beiden Tagen werden "harte" Rockbands am Festivalgelände hinter der Arena Nova aufspielen. Alte Erinnerungen werden wach: Nach einem abgebrochenen Metallica-Konzert in Kanada demolierten aufgebrachte Fans das Stadion. Die Hardrocker Metallica sind am Freitag am Flugfeld die Hauptband.

Bei der Exekutive rechnet man mit Problemen - bei einer solch riesigen Menge finden sicher auch gewaltbereite Gruppen ihren Weg auf die Civitas Nova. Die aggressive Musik und Alkohol tun ein Übriges. Im Unterschied zu den bisherigen Mega-Konzerten (U2, Rolling Stones, Pink Floyd) muß mit einem anderen Publikum gerechnet werden. Ein Publikum, das schneller "heiß" läuft, das die Aggression der Musik aufnimmt. Deshalb wird ein Großaufgebot rund um das Festivalgelände für Sicherheit sorgen. [...] Ein wichtiger Punkt: Solange die Camper in der Civitas Nova bleiben, wird es ruhig in der Stadt sein. Bei "Wanderungen" von Gruppen in die Innenstadt will die Polizei rasch zur Stelle sein und durch Präsenz potentielle Vandalen abschrecken.

Samstag klingt das Festival mit einem Pop-Konzert von Herbert Grönemeyer aus. Den werden sich die "harten" Jungs nicht anhören wollen."

Mit etwas Wohlwollen kann man in diesen Zeilen fast so etwas wie Ironie orten, andererseits läßt sich daraus eine spätestens seit Woodstock überwunden geglaubte Denkweise rund um gewaltbereite Hard Rock-Fans entnehmen, die aufgeputscht durch den Teufel Rock und jeder Menge Genussmittel eine Spur der Verwüstung hinter sich lassen. Interessanterweise wird ein paar Seiten später in diesem bezeichnenderweise der sozialdemokratischen Partei nahestehenden Blatt das Gastspiel der Böhsen Onkelz in Wiener Neustadt am 31. August beworben und wo sich folgender aufschlußreicher Satz findet: "Eine Fangemeinde, wie sie derzeit keine andere europäische Band verzeichnen kann ..." Naja...

Blenden wir also zurück zum 10. Juni 2004. Eine massive Blechlawine wälzt sich äußerst zäh aus allen Richtungen zum Aerodrome, ein am späten Vormittag einsetzender kräftiger Regenguss verheißt nichts Gutes.  Als ich am frühen Nachmittag beim Südeingang des Festivalgeländes eintreffe hat der Himmel glücklicherweise wieder seine Schleusen geschlossen, die britischen 60s-Rocker Stands eben die Hauptbühne eingeweiht und dorthin hoffte ich mich rechtzeitig zum Auftritt von Dover durch die Menschenmassen und eine schier unüberschaubare Anzahl von Zelten vorgekämpft zu haben. Daraus wurde es allerdings nichts, da sich herausstellte, daß sich die Pressekassa und somit die Gästeliste am Nordeingang befand. Aufgrund der Weitläufigkeit des Geländes und mangels zu diesem Zeitpunkt vorhandener Shuttlebusse dorthin bedeutete das einen längeren Fußmarsch. Diese unerwartete Anstrengung wurde allerdings nicht belohnt denn vor dem einzigen Presseschalter wartete eine lange Menschenschlange. Offenbar hatte man nicht bedacht bzw. unterschätzt, daß bei einem Festival, bei dem rund 60.000 Fans erwartet werden, entsprechend viele Presseakkreditierungen als auch Tickets aus zahllosen Gewinnspielen ausgeteilt werden müssen und eine einsame Ausgabestelle logischerweise überfordert sein muß. Dazu kam noch, daß viele Kollegen als auch Gewinner von Freikarten nicht auf der Gästeliste standen und deshalb langwierige telefonische Recherchen notwendig waren, was die Länge der Menschenschlange nicht gerade verringerte.

In der Zwischenzeit waren Dover längst von den H-Blockx abgelöst worden, aber auch deren Gastspiel fand ohne mein Beisein statt, denn wie sich zu meinem Entsetzen herausstellte war der mir zugesicherte Eintrag auf der Gästeliste auch nicht vorhanden. Was tun? Einige Telefonate führen, SMS schreiben, abwarten, checken ob man im Fall des Falles genug Cash für eine Tageskarte dabeihat und sich bis zu einer Klärung der Sachlage irgendwie die Zeit totschlagen, was aber bei einem Festival ohnehin nie ein Problem sein sollte. Die Red Hot Chili Peppers drücken das (wenn auch hier etwas aus dem Zusammenhang gerissen) in "Can't Stop" mit nur vier Worten äußerst treffend aus: "Music The Great Communicator" und genau das sollte sich schon bald bestätigen. In der Nähe der Pressekasse saßen zwei gitarrespielende Festivalbesucher, die eben "With Or Without You" anstimmten und ich dachte mir, wenn schon kein alternative Rock vom Aerodrome-Gelände dann wenigstens gediegene Popstandards aus nächster Nähe. Ich setzte mich also dazu und schon bald wurde das Duo um ein weiteres Mitglied erweitert, das die beiden gesanglich und natürlich mit voller Inbrunst unterstützte.

György und Albert, so die Namen der Beiden, hatten sich per Anhalter aus einem kleinen Nest nördlich von Budapest hierher durchgeschlagen, um erstmals die von ihnen vergötterten Red Hot Chili Peppers live zu erleben. Leider hatten sie nicht bedacht, dass der 10. Juni in Österreich ein Feiertag ist und deshalb das Umwechseln von Forint auf Euro nicht möglich war, wobei sicher sicherlich nicht die Einzigen waren, die mit einem derartigen Problem konfrontiert waren. Glücklicherweise hatten sie ihre Gitarren dabei, wobei eine nur mehr 3 Saiten hatte, aber das war völlig ausreichend, um sich am Straßenrand ein paar Euro zum Erwerb von Eßbaren etc. zu Erspielen. Das gelang auch problemlos mit dank eines ausgewogenen Repertoires an Songs von U2, Beatles, Simon & Garfunkel, das überaus beliebte „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd und natürlich jeder Menge Red Hot Chili Peppers, zwischendurch gab es auch Bierspenden von gut gelaunten Festivalbesuchern.

Inzwischen spielten am Festivalgelände Life Of Agony auf, aber für mich weitaus wichtiger war die Tatsache, daß sich in der Zwischenzeit das Mysterium rund um den nicht vorhandenen Gästebucheintrag geklärt hatte. Also stellte ich mich erneut bei der Schlange vor dem Presseschalter an, die leider im Laufe der folgenden Stunde aufgrund vielfach immer noch nicht geklärter Akkredierungen etc. nicht kleiner wurde. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als auch den Auftritt der Toten Hosen nur aus der Ferne zu verfolgen. Ein kleiner Trost war jedenfalls, daß auch einige Prominente aus dem österreichischen Medien- und Musikgeschäft dieses Schicksal teilten, darunter FM4-Chefin Monika Eigensperger oder Walter Gröbchen, umtriebiger A & R-Berater und Neo-Labelboss von Monkey Records.

Campino & Co. spielten gerade ihr Cover von Blurs "Song 2", als ich endlich das Ticket in Händen hielt und gegen 19.15 schließlich im Festivalgelände war, um gerade noch die unschlagbaren Zugaben "Alles aus Liebe", "Eisgekühlter Bommerlunder", „10 kleine Jägermeister“ und passend zur Fußball-EM „You’ll Never Walk Alone“  live vor Ort zu erleben.

Eine Bierlänge später, die von dem Album „Pet Sounds“ der Beach Boys untermalt war (eine wahrlich unkonventionelle Wahl als Pausenmusik für ein Rockfestival) dann endlich ein Aerodrom-Gig in voller Pracht  und dann noch jener der Pixies! Die lieferten einen schnörkellosen und fast atemlosen, weil nur durch kaum wahrnehmbare Pausen unterbrochenen Auftritt als auch den Nachweis, warum sie einen derartigen Stellenwert bei ihrer Kollegenschaft innerhalb der alternativen Rockszene und den fortgeschrittenen Musikfans genießen. Man kann auch davon ausgehen, dass sich die Pixies-Fangemeinde durch diesen Gig vergrößert hat, denn auch abseits des relativ früh platzierten, dank Funk, Film & Placebo popularisierten und natürlich völlig zu Recht zum Klassiker hochstilisierten „Where Is My Mind“ vermochten  Black Francis (der unübersehbar in die Gewichtsklasse eines Meat Loaf oder des um 1990 zumindest in Spex-Leser/Redakteuren-Kreisen überaus geschätzten schwergewichtigen Alternativen Rocker Tad aufgestiegen ist) & Co. jene Publikumsschichten zu begeistern, deren Eltern sich zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung  dieses Tracks (1988) noch nicht einmal kannten. Einziger Wermutstropfen war die fehlende Zugabe, aber das ließ sich verschmerzen, schließlich sieht man die Pixies nicht alle Tage.

Eine weitere ungewöhnliche musikalische Pausenüberbrückung später (warum quält man Fans von Alternative Rock mit Jazz?) mischte sich unter den rund 55.000 Fans vor der Hauptbühne (die restlichen 5000 Festivalbesucher gaben sich auf der FM4-Stage in der benachbarten „Arena Nova“-Halle Soulfly) vor dem Gig der Red Hot Chili Peppers die Vorfreude mit Nervosität und Hektik. Das Gedränge Richtung Bühne nahm mitunter beängstigende Ausmaße an, die Bewegungsfreiheit war dementsprechend gering (besonders Übermütige tanzten später dennoch Pogo und erweckten damit den Unmut klaustrophobisch veranlagter Konzertbesucher),  der Schweiß der anderen Konzertteilnehmer ein ständiger als auch unliebsamer Begleiter, die Sicht auf die Bühne war marginal, wurde aber durch der insgesamt 4 Monitoren am Bühnenrand kompensiert, aber das alles nahm man für die RHCP gerne in Kauf.

Allerdings warfen die Peppers an diesem Abend einige Fragen auf: Warum griff John Frusciante zwischendurch ausgerechnet auf Elton Johns "Tiny Dancer" (bekannt aus dem genialen 70s-Rock-Roadmovie „Almost Famous“) zurück, etwas später dann auf „Remember“ (Walking In The Sand)“ (ein Oldie der 60s-Girlgroup  Shangri-La’s und später neu eingespielt von Aerosmith)? Wozu der entbehrliche Versuch von Humor, als man einen Song ankündigt, den einst die Sex Pistols eingespielt haben sollen, aber dann doch nicht veröffentlichten, da sie den Punk entdeckten und stilistisch völlig umschwenkten und sich eben dieser Titel als das One-Hit-Wonder „Brandy“ von Looking Glass aus dem Jahre 1972 entpuppt? Warum sind diese Songs für die Band von Relevanz und riskieren dabei Unverständnis zahlreicher Fans, da damit die exzellente Grundstimmung deutlich runtergezogen wird?

Wie auch immer, abgesehen von diesen „Downers“ präsentierten sich die RHCP in ausgezeichneter Spielfreude, (was natürlich Appetit auf das im August erscheinende Livealbum macht), griffen vornehmlich auf Post-„Blood Sugar Sex Magik“-Material zurück und zeigten vor allem bei der Zugabe, was sie weit mehr drauf haben als ihre Hits runterzuspielen.

Den Reigen eröffnete Drummer Chad Edwards, der unter anderem das Intro von Led Zeppelins „Good Times, Bad Times“ derart gelungen hinlegte, wie es deren Schlagwerker Jon Bonham nicht besser hingekriegt hätte, „Under The Bridge“ und „Give It Away“ sorgten erwartungsgemäß für Begeisterungsstürme, aber was diesem Abend krönte war das abschließende Outro, bei dem sich gute 10 Minuten Flea und  John Frusciante ein Gitarren-Duell der Extraklasse lieferten und Frusciante dem Verstärker feinste „Woodpecker“-Sounds entlockte.

Abschließend möchte ich nochmals das anfangs erwähnte „Bezirksblatt“ zitieren:

„Das erste Aerodrome steht am Prüfstand: Denn das Festival soll jährlich stattfinden. Verkraftet die Stadt aber schon beim ersten  Mal den Besucheransturm nicht, wird man eine Fortsetzung überlegen“

Den Besucheransturm hat Wiener Neustadt durchaus verkraftet, denn auch am zweiten Festivaltag mit Rockrabauken wie Slipknot, Korn, Motörhead und Metallica gab keine besonderen Vorkommnisse, wie sie das "Bezirksblatt" befürchtete. Deshalb sollte zumindest diesbezüglich einer nächstjährigen Fortsetzung nichts im Wege stehen, vorausgesetzt man bewältigt gravierende Schönheitsfehler wie überforderte und mangelhaft geschulte Security, überlastete Telefonnetze, gigantische Müllberge, zuwenig Shuttledienste, Kassen usw.

Kaiser Franz Joseph I. war einst oftmals zu Gast am Flugfeld Wiener Neustadt und verfolgte mit großem Interesse die Fortschritte der K.u.K.-Flugpioniere, was ihn sicherlich zu seinem bekannten Ausspruch „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ veranlasst haben dürfte. Ein knappes Jahrhundert später bin ich sicherlich nicht der Einzige, für den dieses Zitat trotz der oben erwähnten Kritikpunkte auch für das Aerodrome gültig ist.


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