Montag, 22. August 2016

Nightwalk-Flashback


Am 27.August findet der  Gürtel Nightwalk XIX statt. Was aber war 15 Jahre davor? Hier ein kleiner Rückblick:

Gürtel Nightwalk IV mit Rucki Zucki Palmencombo, Shy, Heanoisa Grantbriada, Peko Lo Mania, Wien 25.08.2001 ( Rezension aus 2001)

Zunächst einige einführende Worte für alle Nichtwiener: Wenn man in Wien vom Gürtel spricht, meint man in erster Linie nicht das Accessoire, das einem davor bewahrt, die Hosen zu verlieren, sondern Wiens größte innerstädtische Verbindungssstraße oder aber auch Wiens führende Amüsiermeile, weshalb die an den Gürtel grenzenden Wiener Gemeindebezirke nicht wirklich als noble Wohnbezirke gelten. Deshalb hat man in den letzten Jahren verstärkt versucht, das Image dieser Bezirke etwas aufzupolieren. Eines der wichtigsten dementsprechenden Maßnahmen war die Revitalisierung der viaduktähnlichen ehemaligen Stadtbahnbögen, auf denen jetzt die U6 unterwegs ist und die früher großteils als Warenlager oder Werkstätten genutzt wurden. Mittlerweile etablierte sich dort dank namhafter Lokale mit Auftrittsmöglichkeiten wie dem Chelsea oder B 72 eine lebhafte Beislszene, die offenbar dafür verantwortlich war, daß sich das Bild des durchschnittlichen Gürtelbesuchers vom rotlichtsüchtigen Nachtschwärmer zum niveauvollen Musikfan gewandelt hat.

Mit dem Nightwalk, der mittlerweile zum 4. Male veranstaltet wurde, hat man auch heuer wieder versucht, mittels eines vielschichtigen Kulturangebots all jene, die bislang einen weiten Bogen um die Gürtellokale gemacht haben, dorthin zu locken. Diesem Lockangebot konnte ich heuer nicht wiederstehen, sollten doch unter anderem keine geringeren als die Rucki Zucki Palmencombo, die dank ihres Fernwehklassikers "Südseeträume" aus dem Jahr 1982 einen nicht unbeachtlichen Bekanntheitsgrad unter Wunschkonzerthörern und Wickie, Slime & Paiper-Fans erlangt haben als auch die überaus talentierte Linzer Formation <a href="http://www.shy.at/" target="new"><font face="Times New Roman, Times">Shy</a></font> aufspielen.

Dank der verkehrsgünstigen Lage aller Nightwalk-Lokalitäten an der U6 sollte es an und für sich kein Problem sein, die selbigen zu finden. Als etwas schwierig erwies sich allerdings für den ortsunkundigen Schreiber dieser Zeilen die Suche nach der Grundsteingasse 15, wo sich ein Kulturzentrum befindet und die Rucki Zucki Palmencombo ab 19.00 aufspielen sollte, denn dank einiger offenbar auch nicht wirklich ortskundiger, aber dafür umso hilfsbereiter Passanten machte ich unfreiwillig eine kurze Sightseeingtour durch Ottakring, dem eine kräftige Imagepolitur sicherlich auch gut tun würde.

Nach einigen Irrwegen fand ich endlich doch noch die Grundsteingasse und bald auch die dazugehörige Nummer 15, erfuhr aber dort, daß sich der Auftritt der Rucki Zucki Palmencombo auf 20.00 verschieben würde. Zum Überbrücken der Wartezeit pilgerte ich zum nahegelegenen Chelsea, wo ich die Vorbereitungen der Wiener Popformation Echophonic die es mittlerweile zu einiger FM4-Prominenz gebracht hat, vor ihrem Auftritt gespannt verfolgte und mir nebenbei ein wohlverdientes Bier genehmigte.

Kurz vor 20.00 betrat ich wiederum die Räumlichkeiten der Grundsteingasse 15 und war einigermaßen überrascht, daß das Konzert nicht etwa in einer Halle, sondern in einem Raum, der maximal die Maße einer Fertigteilgarage hatte, stattfand und dem Publikumsansturm von rund 30 Personen gerade noch gewachsen war. Unter diesen Zuschauermassen dürften nicht Wenige gewesen sein, die sich von der Rucki Zucki Palmencombo nur „Südseeträume" und vielleicht ein paar peinliche bis überflüssige 50er-Reminiszenzen erwartet hatten, aber das in der klassischen Rock’n’Roll-Besetzung mit Gitarre/Bass/Schlagzeug und zwischenzeitlichen Mundharmonikaintermezzos groß aufspielende Dreier dachte nicht im geringsten daran, sich mit derartigen Belanglosigkeiten zufriedenzugeben und überraschte mit einer durchaus mitreißenden Show, bei der die Spielfreude des dynamischen Trios deutlich spürbar war und die sich eine größere Zuschauerkulisse verdient hätte. Einziger Wermutstropfen war die Tatsache, daß Ronnie Urini, seines Zeichens Originalschlagzeuger der Rucki Zucki Palmencombo und Urgestein der österreichischen Undergroundszene, leider nicht mit von der Partie war, aber er wurde äußerst kompetent von einem mir unbekannten Sonnenbrillenträger vertreten.

Repertoiremäßig beschränkte man sich nicht auf die von ihren 3 Singlehits bekannten Titel "Mann im Mond", "I kann di net vergessen" und natürlich "Südseeträume", sondern spielte eine Reihe von zumindest mir unbekannten, aber großteils perfekt ins Programm passenden Songs und überraschte sowohl mit einer Coverversion von Freddy Quinn’s unvergeßlichen Schmachtfetzen „Heimatlos" als auch einer auf den ersten Blick nicht erkennbare Verdeutschung von Elvis Presley’s „Heartbreak Hotel".

Nachdem nach knapp einer Stunde der letzte Ton verklungen war, hätte ich natürlich noch gerne mit den Bandmitgliedern über etwaige Zukunftspläne wie neue Platte, Tour etc. geplaudert, aber bedingt durch die zeitliche Verschiebung war es mittlerweile nach 21.00 und ich wollte noch etwas von Shy hören, die bereits um 20.30 vor dem B 72 zu spielen begonnen hatten

Also nix wie hin zur U-Bahnstation, untermalt von Echophonic, die kurz davor vorm Chelsea zu spielen begonnen hatten und mit der U6 ab Richtung B 72, dessen Name sich übrigens nicht weiter überraschend vom Stadbahnbogen Nr. 72 ableitet. Dort erhaschte ich leider nur mehr 3 Songs von Shy, aber es schien, als hätten sie bis zu meinem Eintreffen mit 3 ihrer besten Stücke auf mich gewartet, nämlich ihre aktuelle Single „Mr. Sunset", den Leider-Nicht-Klassiker „Kein Mann auf dem Mond" und schließlich ihre WG-Hymne „Frühstück für Slacker".

Damit war der Zauber auch schon wieder vorbei und es war absolut nachvollziehbar, warum Shy sich mit Zugaben zurückhielten. Das Ambiente war nämlich alles andere als motivierend für ernsthafte Musiker, denn es herrschte keine Konzert-, sondern Bierzeltatmosphäre, da ab der 4. Heurigenbankreihe von der Bühne entfernt politisiert wurde oder man sich über andere belanglose Dinge unterhielt, als Shy zu lauschen, die eigens „mit großer Besetzung" aufgetreten waren.

Da im B 72 nun ein DJ-Set folgen sollte und ich mir lieber Livemusik zu Gemüte führen wollte, wechselte ich den Schauplatz und wurde schon bald von den rauhen Klängen des Soulklassiker „Mustang Sally", der vor rund einem Jahrzehnt durch den Kinokassenschlager „The Commitments" reanimiert wurde, ins Cafe Carina gelockt. In dieser auch nicht gerade weitläufigen Lokalität waren die mir bis dato unbekannten Heanoisa Grantbriada, laut Pressetext „im Auftrog des Rockn Roi untawegs - Schlußendli is der Rockn Roi in Heanois auf'd Wöd kumman" (Für alle, denen der Wiener Dialekt nicht geläufig ist: „Im Auftrag des Rock'n'Roll unterwegs sind, schließlich habe der Rock’n’Roll seine Ursprung in Hernals", was natürlich nicht historisch belegbar ist), am Werk und das überraschend gut.

Als illegitime Söhne der Blues Brothers überzeugten die 5 zornigen Hernalser Brüder mit einer fulminanten Rhythm & Blues-Show, welche die Blues Brothers Revuen, die immer wieder durch die Lande ziehen, stimmungsmäßig und musikalisch eindeutig verblassen ließen. Gemäß dem bewährten Blues Brothers-Muster spielte der in der Besetzung Gitarre/Baß/Saxophon/Schlagzeug/Keyboard auftretende Brüder-Fünfer, dessen Bassist und Keyboarder für die Vokalparts verantwortlich waren, altgediente Rock & Soulklassiker, die allesamt live eine sichere Bank für gute Stimmung sind:„Suzy Q", „Papa Was A Rolling Stone", „Smoke On The Water", „Whole Lotta Love", „Sweet Home Alabama", „Unchain My Heart", „You Can Leave Your Hat On", bei dem stilgerecht ein Hut für freiwillige Spenden herumgereicht wurde, das unvermeidliche „Minnie The Moocher" und als abschließende Zugabe James Brown’s „I Got You - I Feel Good".

Das entfesselte Publikum im überfüllten Cafe Carina wollte die Heanoisa Grantbriada zunächst gar nicht mehr von der als Bühne verwendeten rund 10 m² großen Tanzfläche lassen, aber die Ankündigung, das nun eine weitere Formation folgen sollte, die ähnliche Euphorie verursachen sollte, glättete die Wogen der fast orgiastischen Begeisterung wieder. Laut Programmablauf sollte das die Fenzl Experience sein, die allerdings kurzfristig durch eine exotisch klingende Kombo namens Peko Lo Mania ersetzt worden war. Nach längerem Soundcheck und einigen technischen Problemen verwandelte sich deren stimmliches und optisches Aushängeschild, die zierliche Japanerin Tomoko "Peko" Toyoshima, die zuvor noch schüchtern und nervös die Umbauarbeiten und die Behebung der technischen Probleme verfolgte, in eine japanische Souldiva. Wäre Tomoko’s Landsfrau Yoko Ono gesanglich nur halbwegs so talentiert gewesen, hätte ihre Solokarriere vermutlich einen gänzlich anderen Verlauf genommen.

Aber nicht nur die Stimme überraschte, sondern auch die gut ausgewogene Auswahl der Coverversionen:„Moving On Up" (M’People), Kiss (Prince), „Word Up" (Cameo), „Baby I Love You" (Aretha Franklin), „Play That Funky Music" (Wild Cherry), „Smooth" (Santana), ein James Bond-Special, in dem „Goldeneye" und „Goldfinger",eingebettet waren und „Free Your Mind" (En Vogue) vermochten selbst die anspruchsvollsten Soul & Funkfans zu begeistern.

Als Zugabe wagte sich Tomoko und die gut eingespielte Backingband sogar über „Geh davon aus" von den Söhnen Mannheims, schreckte nicht vor Carole Kings "You’ve Got A Friend" zurück und beschloß den Auftritt mit „I Got You - I Feel Good", was vielen nicht nur ein akustisches Déjà Vu bescherte, sondern auch am Besten das Gefühl dieser lauen Sommernacht ausdrückte.